Digital unter Druck:

Wie soziale Medien mentale Stärke untergraben

Digital unter Druck:

In der täglichen sportpsychologischen Arbeit mit jungen Talenten, aber auch mit erfahrenen Leistungsträgern, stoße ich immer häufiger auf ein Phänomen, das sich nur schwer in klassische Trainingsmodelle einordnen lässt: Es ist nicht der Wettkampf, nicht das harte Training, nicht die Erschöpfung, die diese Athletinnen und Athleten belasten. Es ist der unsichtbare, permanente Vergleich im Netz. Plattformen wie Instagram, TikTok oder Strava erzeugen einen digitalen Leistungsraum, der oft wenig mit der realen, körperlich-emotionalen Leistungserfahrung zu tun hat. Das Ergebnis: ein wachsender psychischer Druck, der leise beginnt, aber tief wirkt.

Der Wettkampf hat die Plattform gewechselt

Früher lag der Fokus auf dem nächsten Rennen, dem Trainingsfortschritt, der Tagesform. Heute beginnt die Bewertung oft schon vor dem ersten Schritt aufs Rad, in die Laufschuhe oder auf die Matte. Wer trainiert, postet. Wer postet, misst sich. Sichtbarkeit wird zur Währung, Likes zum Applaus, Follower zum vermeintlichen Beweis für Bedeutung.
Das Problem dabei: Diese digitale Bühne funktioniert nach anderen Regeln als der Sport selbst. Sie kennt keine Regeneration, keine Schwäche, keine Zwischenräume. Es zählt das Bild, nicht die Entwicklung. Das sorgt für eine Verschiebung im Selbstbild, besonders bei jungen Athletinnen und Athleten. Sie verlieren das Gespür dafür, was sie tatsächlich leisten, weil der Vergleich permanent präsent ist.

Die Schattenseiten des digitalen Vergleichs

Psychologisch betrachtet ist der Mensch auf Beziehung und Resonanz angewiesen. Was früher durch Trainerfeedback, Gruppendynamik oder Wettkampferfahrung reguliert wurde, läuft heute oft über Algorithmen. Das Ergebnis ist eine emotionale Volatilität, die dem Nervensystem schadet. Wer sich morgens über Likes freut und abends mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit einschläft, weil der Post nicht funktioniert hat, befindet sich in einem emotionalen Auf und Ab, das auf Dauer destabilisiert.

Zudem verschiebt sich der innere Kompass. Statt sich an eigenen Zielen zu orientieren, wird die Aufmerksamkeit auf äußere Bewertungen gelenkt. Es entsteht eine sogenannte fremdbestimmte Zielorientierung. Die psychologische Forschung belegt, dass diese mit höherem Stress, geringerer Motivation und einem erhöhten Risiko für depressive Symptome einhergeht.

Mentale Nebenwirkungen: Selbstwertverlust, Identitätsverwirrung, Überanpassung

Was bedeutet das konkret für die Arbeit mit jungen Sportlern? Zunehmend zeigen sich Symptome wie Unsicherheit in Entscheidungssituationen, ein übertriebenes Bedürfnis nach Perfektion, sozialer Rückzug und eine chronische Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung. Besonders fatal: Viele dieser jungen Menschen wissen gar nicht, woher dieses Gefühl kommt. Sie funktionieren. Aber sie fühlen sich nicht verbunden. Nicht mit sich, nicht mit dem Sport, den sie lieben.
Die Ursache liegt häufig in der schleichenden Internalisierung digitaler Maßstäbe. Wer täglich durch die leistungsbezogene Welt des Internets scrollt, verlernt, eigene Prozesse anzuerkennen. Es entsteht ein doppelter Druck: besser sein zu müssen als andere und gleichzeitig konstant sichtbar bleiben zu müssen. Diese Art von Stress ist subtil, aber dauerhaft wirksam. Und sie trifft vor allem die, die noch keine stabile sportliche Identität aufgebaut haben.

Was hilft: Psychologisch fundierte Gegenstrategien

Es reicht nicht, Jugendlichen einfach zu sagen: „Vergleich dich nicht.“ Der soziale Vergleich ist ein tief verankerter Mechanismus. Entscheidend ist, ihn bewusst zu machen und mit anderen Werkzeugen zu ergänzen. Hier einige bewährte Ansätze aus der Praxis:
Selbstwertquellen differenzieren: In der Arbeit mit jungen Menschen analysieren wir, worauf sie ihren Selbstwert stützen. Ist es die Tagesform? Die Rückmeldung auf Social Media? Oder innere Kriterien wie Lernfortschritt, Durchhaltevermögen oder emotionale Stabilität? Ziel ist es, diese inneren Ressourcen sichtbar und spürbar zu machen.
Digitale Hygiene etablieren: Dazu gehören Social-Media-Pausen, klar definierte Nutzungszeiten und das bewusste Entfolgen von Kanälen, die mehr Druck als Inspiration erzeugen. Oft reicht schon eine kleine Veränderung, um wieder eigene Gedanken zu hören.
Mentale Schutzräume schaffen: Das können journalingbasierte Reflexionen sein, Gespräche im geschützten Rahmen oder Imaginationsübungen, in denen das eigene sportliche Zielsystem visualisiert wird. Entscheidend ist, dass ein Raum entsteht, in dem Leistung nicht bewertet, sondern gespürt werden darf.
Bewusstes Reframing: Statt sich mit anderen zu vergleichen, liegt der Fokus auf dem eigenen Verlauf. Fortschritt wird nicht in Sichtbarkeit, sondern in Konsistenz, Wiederholung und Achtsamkeit gemessen. Diese Haltung braucht Training, aber sie wirkt stabilisierend.

Die Rolle der Erwachsenen im System

Trainerinnen, Eltern, Verbände, sie alle sind Teil des Umfelds, das mitgestaltet, wie junge Athletinnen und Athleten soziale Medien erleben. Wer im Sport Verantwortung trägt, sollte Social Media nicht verteufeln, sondern ernst nehmen. Es braucht Gespräche, Bewusstmachung, manchmal auch einen Perspektivwechsel. Die Frage ist nicht, ob digitale Medien eine Rolle spielen. Sondern wie bewusst wir sie in die Entwicklung integrieren.

Fazit: Sichtbarkeit darf nicht zur Falle werden

Soziale Medien sind nicht das Problem. Das Problem ist die mangelnde Differenzierung. Wenn Erfolg, Bedeutung und Identität nur noch über Likes verhandelt werden, verlieren junge Athleten ihre innere Stabilität. Mentale Stärke entsteht dort, wo man sich selbst spüren darf, unabhängig von der Kamera. Und echte Leistung zeigt sich nicht im perfekten Bild, sondern in der Fähigkeit, dranzubleiben, auch wenn niemand zusieht.

Bogomil Poliakov ist klinischer Psychologe und anerkannter Experte für Sportpsychologie und High Performance Mentaltraining. Als Gastautor vermittelt er fundiertes Wissen zu Themen wie Ressourcenstärkung, Umgang mit Ängsten und mentaler Leistungssteigerung im Sport. Seine Beratung richtet sich gezielt an Sportler aus Individual-, Kampf- und Teamsportarten.
Website: https://www.linkedin.com/in/bogomil-poliakov-a8190a294/

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